Glaube und Theologie – lutherisch verantwortet und gestaltet

lutherisch

Ich bin als lutherischer Christ aufgewachsen, habe mich in meinem Leben intensiv mit lutherischer Theologie auseinandergesetzt und bin gerne und bewusst Pfarrer in einer lutherischen Kirche. 

Was ich an lutherischer Theologie schätze?

Zum einen und als allererstes, dass sie wunderbar entlastend ist. In einer befreienden Radikalität ist davon die Rede, dass ich mir als Mensch Gottes Zuneigung und Liebe weder verdienen noch mich ihr im Nachgang als würdig erweisen kann und muss. Sondern die Liebe Gottes ist ganz Geschenk. Jesus Christus hat das ermöglicht. Und selbst die Hände, in die mir dieses Geschenk gelegt wird (im Bild gesprochen für den Glauben) kann ich mir nicht selbst geben, sondern sie sind von Gott geschaffen. Das entlastet mich und bietet mir Halt – gerade dann, wenn ich mit mir selbst hadere.

Zum anderen schätze ich lutherische Theologie, weil sie realistisch ist. Sie rechnet nicht einfach mit dem »Guten im Menschen«, sondern hat auch die Abgründe des Menschen im Blick. So hat sie ein kritisches (und nicht zuletzt selbstkritisches) Potential. Wenn davon die Rede ist, dass Umkehr zu Gott und eine Neuausrichtung des Lebens Tag für Tag nötig ist, dann verbietet sich eigentlich eine Haltung, die nicht mehr damit rechnet, dass ich lerne und auch neue Perspektiven entdecke.

Ein dritter Punkt, der mir wichtig ist: Lutherische Theologie bildet meiner Meinung nach die Komplexität des Lebens ab. Immer wieder werden in ihr Aspekte zusammengehalten, die sich scheinbar widersprechen: Dass der Christ gleichzeitig Sünder und vor Gott gerecht ist; dass Menschen im Heiligen Abendmahl dem Augenschein nach die alltäglichen Gaben von Brot und Wein empfangen, sich darunter aber die Gaben der leiblichen Gegenwart Jesu Christi verbergen; dass ich die Maßstäbe, die für das Zusammenleben in einer Gemeinde gelten, nicht einfach auf die Politik anwenden kann und umgekehrt. Hier haben einfache Antworten keinen Platz. Sondern verschiedenes wird – in aller Spannung – zusammen ausgehalten.

Und dann ist mir noch vieles andere wichtig geworden: die Gottesdienste, die das reiche liturgische Erbe der Kirche aller Zeiten und besonders der Reformationszeit aufnehmen, ohne in einem Traditionalismus stecken zu bleiben, das Anliegen, dass alle Christinnen und Christen sprachfähig sind und werden und sich in Gemeinde und Kirche einbringen, die Bedeutung von Liedern und Musik und vieles mehr.

Und die Schattenseiten?

Natürlich bin ich mir auch bewusst, dass die Geschichte der lutherischen Kirche nicht frei von Schattenseiten ist. Das beginnt schon bei Martin Luther und zieht sich bis in die Gegenwart durch. In der lutherischen Kirche haben Menschen Verantwortung übernommen. Und das hat eben auch dazu geführt, dass es zum Teil zu fatalen Fehlurteilen gekommen ist. Gerade deswegen ist mir auch der selbstkritische Blick so wichtig. Lutherische Kirche ist eben kein »Martin-Luther-Fanclub« und scheint mir besonders da stark zu sein, wo eigenes Versagen und eigene Schuld in der eigenen Geschichte auch in den Blick kommt.

Für mich bedeutet, Verantwortung in und für eine Kirche zu übernehmen, eben beides: das, was ich schätze fröhlich zu vertreten und dafür zu werben, und Schweres und Missliches mitzutragen, um Entschuldigung zu bitten und – wo möglich – für Veränderungen einzutreten.